Artikel erstellt von Klaus mit dem Exegese-Helfer 1.7.7i
Eine apologetisch-theologische Klärung im Licht der Quellen bis ca. 350 n. Chr.
„Die katholische Kirche beruft sich darauf, im Konsens der Kirchenväter zu stehen. Doch was war dieser Konsens wirklich? Und ist dieser Konsens mit der römisch-katholischen Theologie deckungsgleich?“
1. Ausgangslage: Der Anspruch der katholischen Kirche
Die römisch-katholische Kirche behauptet, dass sie ihre Dogmatik in Übereinstimmung mit dem sogenannten „consensus patrum“ – also einem durchgängigen Konsens der Kirchenväter – entwickelt habe. Besonders das Zweite Vatikanische Konzil (Dei Verbum, 1965) betont:
„Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden ein einziges der Kirche anvertrautes heiliges Gut […] Beide sind vom gleichen Quellgott ausgegangen, laufen auf dasselbe Ziel hin und fließen zusammen zu einer Einheit […].“ (DV 9–10)
Dabei wird ausdrücklich behauptet, dass sich die katholische Kirche nicht auf die Bibel allein, sondern auf Bibel plus Tradition, autoritativ ausgelegt durch das kirchliche Lehramt, stützt. Dieses Verständnis wird durch das Erste Vatikanische Konzil (1870) dogmatisch abgesichert, das die Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitten für verbindlich erklärt.
Diese Vorstellung eines geschlossenen, einmütigen Lehrbestandes, der seit den apostolischen Vätern im Kern römisch-katholisch geprägt sei, hat aber in der historischen Forschung zunehmend Widerspruch erfahren. Die reale theologiegeschichtliche Analyse der Frühkirche (bis ca. 350 n. Chr.) zeigt ein differenziertes, oft auch plurales Bild – mit wenigen echten Konsenspunkten, aber vielen kontroversen Entwicklungen.
Ziel dieser Untersuchung ist es, die wirklich belegbaren Konsensthemen aus den Schriften der Kirchenväter bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts herauszuarbeiten – gründlich, quellenbasiert und theologisch reflektiert.
2. Was war tatsächlich Konsens? – Die 15 Punkte ausführlich erklärt
I. Gotteslehre (Theologie)
1. Monotheismus – der eine und einzige Gott
Die gesamte frühe Kirche bekannte sich kompromisslos zum Glauben an den einen, lebendigen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde – in Abgrenzung zu heidnischem Polytheismus, Dualismus und Pantheismus.
„Denn es gibt nur einen Gott, den Vater, und nur einen Christus Jesus, unseren Herrn.“ – Irenäus, Adv. haer. II,1,1
„Wir verehren den einen wahren Gott, der das All gemacht hat, der durch seinen Logos alles erschaffen hat.“ – Justin, Apologia I, 6
Konsens: Ja – radikale Monotheismustheologie als Grundpfeiler.
2. Gott als Schöpfer: Creatio ex nihilo
Im Gegensatz zu gnostischen Systemen, die von einer ewigen, defizienten Materie ausgingen, lehrte die Kirche, dass Gott durch seinen Willen die Welt aus dem Nichts geschaffen hat.
„Gott hat das All nicht aus vorhandener Materie, sondern durch sein Wort aus dem Nichts erschaffen.“ – Theophilus von Antiochia, Ad Autolycum II,10
„Der Vater hat durch sein Wort Himmel und Erde aus dem Nichts gemacht.“ – Irenäus, Adv. haer. II,10,4
Konsens: Ja – klarer Schöpfungsglaube ex nihilo.
3. Ablehnung des Polytheismus
Heidnischer Vielgötterglaube wurde übereinstimmend als teuflisch, irrational und verderblich bezeichnet.
„Was die Götzen der Heiden betrifft – das sind Dämonen, keine Götter.“ – Tertullian, Apologeticum 10
„Wir verwerfen den Wahn der Vielgötterei.“ – Justin, Apologia I, 5
Konsens: Ja – mit apologetischem Nachdruck.
4. Ablehnung von Götzenbildern und Ikonen
Bis zum 4. Jh. herrschte ein scharfer Bilderprotest in der Kirche:
„Du sollst dir kein Bild machen – das bleibt für Christen verpflichtend!“ – Tertullian, De idololatria 4
„Was du verlangst – ein Bild Christi – ist weder erlaubt noch überliefert.“ – Eusebius von Cäsarea, Brief an Constantia
Konsens: Ja – völlige Ablehnung kultischer Bildverwendung.
5. Trinitarisches Grundschema (Vater – Sohn – Heiliger Geist)
Schon früh entwickelte sich im Denken der Kirche ein trinitarisches Grundschema, das den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist als unterscheidbare „Personen“ oder „Wirkweisen“ Gottes benennt – auf Basis der Taufformel von Mt 28,19. Zwar war die theologische Ausarbeitung noch nicht einheitlich, doch die Grundformel war etabliert.
„Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ – Matthäus 28,19
„Denn die Ordnung des Glaubens besteht darin: an einen Gott Vater, an einen Christus Jesus, den Sohn Gottes, der durch ihn Fleisch geworden ist, und an den Heiligen Geist.“ – Irenäus, Adv. haer. IV,33,7
„Die Einheit Gottes ist in drei verbundenen Wirklichkeiten (personae) gegliedert, welche die Ökonomie der Offenbarung ordnen.“ – Tertullian, Adversus Praxean 2
„Wir beten den Vater an im Namen des Sohnes im Heiligen Geist.“ – Origenes, De Principiis I,3,2
Konsens: Ja – die formelhafte Dreiheit wurde breit anerkannt, auch wenn das Verhältnis der „Personen“ unterschiedlich gedacht wurde.
6. Göttlichkeit und Präexistenz Jesu Christi
Alle maßgeblichen Väter bezeugen die Göttlichkeit Jesu und seine ewige Existenz vor der Geburt – auch wenn der Sohn vielfach als dem Vater untergeordnet beschrieben wurde (Subordinatianismus).
„Unser Gott Jesus Christus wurde von Maria geboren, er ist aus dem Samen Davids und zugleich vom Heiligen Geist.“ – Ignatius von Antiochien, Epheserbrief 7,2
„Dieser Logos, der vor aller Schöpfung bei Gott war, ist in Jesus Mensch geworden.“ – Justin, Apologia I, 63
„Der Sohn ist von Ewigkeit her aus dem Vater hervorgegangen.“ – Origenes, De Principiis I,2,2
Konsens: Ja – wobei unterschiedliche ontologische Modelle vorherrschen.
7. Wahre Menschheit Jesu Christi (Inkarnation)
Gegen doketische Irrlehren betonten die Kirchenväter die volle Menschheit Jesu – mit Geburt, Hunger, Leid, Tod und Auferstehung:
„Er litt wirklich, wie gewisse Ungläubige sagen, nicht nur scheinbar.“ – Ignatius von Antiochien, Smyrnäerbrief 2
„Er hat wirklichen menschlichen Leib angenommen […] nicht bloß als Schein, sondern wirklich.“ – Irenäus, Adv. haer. III,19
„Christus war kein Phantasma – sein Leiden war echt.“ – Tertullian, De carne Christi 5
Konsens: Ja – insbesondere in Abwehr doketischer und gnostischer Lehren.
8. Christus als Erlöser durch Kreuz und Auferstehung
Der Tod Christi wurde als notwendiges, stellvertretendes Erlösungswerk verstanden, seine Auferstehung als Sieg über den Tod:
„Er, der Gott war, wurde getötet, und durch sein Leiden hat er das Heil geschaffen.“ – Melito von Sardes, Peri Pascha, 96ff
„Durch seinen Tod hat er das Leben zurückgewonnen, das im ersten Adam verloren ging.“ – Irenäus, Adv. haer. V,1
Konsens: Ja – wenn auch mit unterschiedlichen Modellen (z. B. Lösegeldtheorie, Repräsentanz).
9. Leibliche Auferstehung der Toten
Gegen den griechischen Dualismus (Körper = schlecht, Geist = gut) und gegen gnostische Leugnung der Leiblichkeit wurde betont:
„Der Leib wird auferweckt – nicht nur die Seele gerettet.“ – Tertullian, De resurrectione carnis 2
„Wie Christus im Fleisch auferstand, so werden auch wir auferstehen.“ – Irenäus, Adv. haer. V,7
Konsens: Ja – auch bei intellektueller Spannung zum Zeitgeist.
10. Jesu Wiederkunft und das Endgericht
Die Parusie Christi wurde durchweg erwartet – real, zukünftig, mit Gericht:
„Er wird kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.“ – Didache 16
„Wir erwarten seine Wiederkunft mit der Herrlichkeit des Vaters.“ – Justin, Apologia I, 52
Konsens: Ja – Zeit und Ausgestaltung waren offen, aber Ziel unbestritten.
11. Die Kirche als göttlich gestiftete, sichtbare Gemeinschaft
Die Kirche wurde nicht als bloß geistliche Idee verstanden, sondern als konkrete, sichtbare, von Christus gestiftete Gemeinschaft mit Lehre, Leitung und sakramentaler Praxis:
„Alle, die an diese Dinge glauben, werden Christen genannt, und wir haben die Gemeinschaft untereinander, weil wir glauben, dass dies die wahre Gottesgemeinschaft ist.“
Justin der Märtyrer, Apologia I 65
„Die Kirche ist die Versammlung der Seelen, die an Christus glauben, die sich durch den Heiligen Geist zur Einheit haben führen lassen.“
Origines, Homiliae in Numeros 23,1
„Wo drei sind, da ist eine Kirche, auch wenn sie in der Wüste sind.“
Tertullian De oratione 28
Konsens: Ja – die Kirche als sichtbare und autoritativ strukturierte Gemeinschaft war durchgehend anerkannt.
12. Bekenntnisformeln und trinitarische Taufformel
Früheste Bekenntnisse waren einfach, aber klar auf die trinitarische Struktur bezogen, v. a. in der Taufliturgie:
„Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ – Matthäus 28,19
„Wenn einer ins Wasser steigt […] bekennt er dreimal den Glauben: an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.“ – Didache 7
„Der Täufling antwortet auf jede der drei Fragen mit: Ich glaube.“ – Hippolyt, Traditio Apostolica, 21
Konsens: Ja – trinitarisch strukturiertes Bekenntnis bei der Taufe war breit belegt.
13. Taufe und Abendmahl als heilsbedeutende Handlungen
Die Taufe wurde als von Christus eingesetzt und heilswirksam angesehen, ebenso die Eucharistie – nicht rein symbolisch, aber auch nicht transsubstantiiert im späteren Sinn:
„Wer nicht aus Wasser und Geist geboren ist, kann nicht leben.“ – Justin, Apologia I, 61
„Die Eucharistie ist das Fleisch unseres Erlösers.“ – Ignatius, Smyrnäerbrief 7
„Das Brot, nachdem es das Wort Gottes empfangen hat, wird Leib Christi.“ – Irenäus, Adv. haer. IV,18
Konsens: Ja – heilbringende Bedeutung war Konsens, auch bei Deutungsvielfalt.
14. Ablehnung von Abtreibung und Kindestötung
Der Schutz des ungeborenen Lebens galt in der Alten Kirche als verpflichtend – gegenüber heidnischer Praxis:
„Du sollst kein Kind abtreiben und kein Neugeborenes töten.“ – Didache 2,2
„Wir betrachten die Frauen, die Abtreibung vornehmen, als Mörderinnen.“ – Athenagoras, Bittschrift für die Christen 35
„Schon im Mutterleib ist der Mensch ein Geschöpf Gottes.“ – Tertullian, Apologeticum 9
Konsens: Ja – Ethik des Lebensschutzes einheitlich.
15. Die absolute göttliche Autorität der Heiligen Schrift
Die Bibel wurde durchgehend als göttlich inspiriert, irrtumslos und normativ betrachtet – Tradition war Auslegung, nicht gleichwertige Quelle:
„Wenn etwas nicht in der Schrift steht, ist es abzulehnen.“ – Tertullian, De praescriptione haereticorum 15
„Die Heilige Schrift ist von Gottes Geist eingegeben und daher ohne Irrtum.“ – Origenes, De Principiis IV,1
„Wir müssen auf das Wort des Herrn hören und daraus schöpfen.“ – Cyprian, Epistula 73,2
Konsens: Ja – Schrift als höchste Autorität unumstritten
Apologetische Relevanz
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind für den evangelischen Glauben von höchster apologetischer Bedeutung:
- Der tatsächliche frühkirchliche Konsens ist in seinen Kernaussagen überraschend schriftzentriert, christologisch fokussiert und ethisch klar.
- Die oft behauptete Kontinuität der römisch-katholischen oder orthodoxen Lehre mit den Kirchenvätern hält einer quellenkritischen Analyse nicht stand, wenn man Originaltexte statt spätere Auslegungen betrachtet.
- Besonders entscheidend: Keiner der folgenden katholischen bzw. orthodoxen Sonderlehren findet sich im frühkirchlichen Konsens:
- Marienverehrung, unbefleckte Empfängnis, Himmelfahrt Mariens
- Heiligenkult, Reliquienverehrung, Wallfahrtswesen
- Fegefeuer, Ablass, Messopfer
- Transsubstantiation oder eucharistische Anbetung
- Sakramente als ex opere operato wirksame Heilsakte
- Papstprimat oder Unfehlbarkeit
Im Gegenteil werden einige, darunter die Ikonenverehrung, direkt abgelehnt – und zwar im Konsens!
Das wirft die Frage auf: Wenn diese Lehren nicht im Konsens der Väter begründet sind – woher kommen sie dann?
Vergleich: Frühkirchlicher Konsens – protestantisch, katholisch, orthodox
Der frühkirchliche Konsens weist in zentralen Punkten deutliche Überschneidungen mit der evangelischen Theologie auf. In der protestantischen Sicht wird – wie in der Alten Kirche – die Heilige Schrift als höchste und alleinige Autorität anerkannt. Die Sakramente (Taufe und Abendmahl) werden als von Christus eingesetzte Zeichen mit geistlicher Wirksamkeit verstanden, ohne eine mechanistische Wirkung durch das bloße Vollziehen des Rituals (ex opere operato), wie es später in der römischen Kirche gelehrt wurde. Auch der Verzicht auf Marien- und Heiligenkult, Reliquienverehrung und transsubstantiative Abendmahlslehre stimmt weitgehend mit den Aussagen der Kirchenväter bis zum 4. Jahrhundert überein.
Die römisch-katholische Theologie hingegen beruft sich auf eine dreifache Autoritätsstruktur: Schrift, Tradition und kirchliches Lehramt. Diese Struktur ist im frühkirchlichen Konsens nicht belegbar. Auch spezifisch katholische Lehren wie das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, die Transsubstantiation, das Fegefeuer oder die Unfehlbarkeit des Papstes finden keinerlei Bestätigung im theologischen Konsens der Väter.
Die orthodoxe Kirche betont stark die Heilige Überlieferung und die liturgische Praxis als Träger der Wahrheit. Sie vertritt eine realpräsente, mystische Eucharistielehre und hält an der Verehrung von Ikonen, Heiligen und der Gottesmutter Maria fest. Auch dies steht im Gegensatz zur klar dokumentierten Ablehnung von Ikonenverehrung, Heiligenkult und einer über das Apostolische hinausgehenden Mariologie in der Alten Kirche.
Zusammenfassend lässt sich feststellen:
- Die protestantische Theologie (im Sinne der Reformation) ist in zentralen Punkten – v. a. hinsichtlich der Autorität der Schrift, der Christozentrik, der Sakramentslehre und der Ethik – deutlich näher am Konsens der Alten Kirche als die römische oder orthodoxe Lehrentwicklung.
- Die katholische und orthodoxe Theologie haben vielfach Lehrentwicklungen vorgenommen, die erst im späteren kirchengeschichtlichen Prozess entstanden sind und sich weder in der Bibel noch im Frühkonsens der Väter begründen lassen.
Zusammenfassung
Die Analyse ergibt:
- Der frühkirchliche Konsens bis 350 n. Chr. ist keine Bestätigung römisch-katholischer oder orthodoxer Dogmatik.
- In praktisch allen zentralen Fragen ist die Linie der Kirchenväter biblisch, schriftzentriert und protestantisch-kompatibel.
- Die Trennung von protestantischer und katholischer Theologie ist nicht eine Spaltung von der Alten Kirche, sondern eine Rückkehr zum historischen Fundament der frühen Kirche.
Fazit: Das wahre Erbe der Väter liegt nicht in Rom, sondern in der Schrift und der apostolischen Lehre selbst – wie sie von den frühen Christen verstanden und bewahrt wurde.